Startseite   -  Kontakt   -  Impressum
 

Südwestpresse Ulm vom 27. März 2014

Ostfildern Jürgen Gruß führt seit 30 Jahren Interessierte durch den Südwesten.

Landkreisreisender, Museumsdirektor, Exkursionsleiter: Jürgen Gruß lebt viele Leben. Angetrieben, Menschen fürs "Ländle" zu begeistern, führt er seit 30 Jahren Interessierte durch den Südwesten.

JULIAN RODEMANN | 27.03.2014

Foto: privat Jürgen Gruß (links) will die Menschen fürs Ländle begeistern und teilt dafür die eigene Erfahrung aus seiner 25-jährigen Reisezeit durch den Südwesten.

Erzählen ist seine Leidenschaft. Um Jürgen Gruß dazu zu bringen, braucht es nicht viel. Oft genügt schon ein Ortsname irgendwo aus Oberschwaben, und er plaudert los. Unter vollem Einsatz seines wohlgenährten Körpers verrät er, wie er in Fleischwangen vom Bürgermeister zum Essen eingeladen wurde: "Wenn wir schon so heißen, sollen Sie auch Fleisch bekommen", sagte der Schultes damals.

Neben privaten Anekdoten gibt Gruß aber auch seine Kenntnis der Gegend preis. Schnell merkt man: Der 55-Jährige verkörpert das, was man gemeinhin ein wandelndes Lexikon nennt. Sein Wissen über die Heimat ist breiter als die Donau und tiefer als der Bodensee. Alle 1102 Städte und Gemeinden Baden-Württembergs hat er in 25 Jahren bereist. Mehr noch, er hat sie erkundet, erlebt und alles fein säuberlich im "Grußeum" dokumentiert.

So nennt er seine Wohnung in Kemnat auf den Ostfildern. Jürgen Gruß lebt in einem Museum. Auf 70 Quadratmetern stapeln sich Ordner und Karten, Schätze und Souvenirs aus ganz Süddeutschland, Schweiz und Österreich. Dabei hat der gelernte Kartograph alles penibel sortiert und beschriftet. Selbst die Stofftiere, die er auf seinen Reisen geschenkt bekommen hat, zieren kleine Aufkleber mit Ortsnamen. "Ich habe nicht mehr alle Tassen im Schrank", sagt der gebürtige Heilbronner. Und tatsächlich: Die Weihnachtsmarkttassen sämtlicher Städte im Land lagern in einem separaten Regal.

Jürgen Gruß ist aber nicht nur privater Museumsdirektor, Landkreisreisender und Träger der Landesehrennadel. Seit 30 Jahren leitet er auch Exkursionen durch die Heimat. In einem Arbeitskreis zur Heimatgeschichte der Volkshochschule (VHS) Ostfildern fing 1982 alles an. Der junge Gruß weckte damals das Interesse des VHS-Leiters. "Der Kerle weiß viel", soll der gesagt haben. Wenig später leitete er seine erste Führung durch ein mittelalterliches Bauwerk im Kreis Esslingen. "Denkendorf - auf den Spuren des Klosters" hieß sie. Das war am 28. März 1984 und ist 30 Jahre her.

Seither hat sich viel verändert. Mittlerweile kooperiert Gruß nicht nur mit Volkshochschulen in Esslingen und Filderstadt und dem Schwäbischen Albverein, er bietet auch privat Führungen an - von der Pfalz bis in den bayerischen Wald.

So sah sich Jürgen Gruß im Lauf der Jahre mit immer neuen Herausforderungen konfrontiert. Auf das Privatmuseum in seiner Wohnung aber konnte sich der 55-Jährige immer verlassen. Zu jedem Winkel Baden-Württembergs findet man hier Informationen. Auch die Führungen selbst sind in "Erinnerungsbüchern" archiviert - etwa die Exkursion mit den wenigsten Teilnehmern. So leitete Gruß bereits Führungen für nur eine Person. "Dafür bin ich mir nicht zu schade", sagt er. Als er durch die Landesgartenschau 2002 führte, war die Schlange 700 Meter lang.

Aber hat Jürgen Gruß, der schon überall im "Ländle" war, auch eine Lieblingstour? "In die Schwarzwaldbahn habe ich mich verliebt", sagt er. Die Fahrt von Donaueschingen nach Offenburg macht ihm auch beim fünften Mal Spaß. "An der Landschaft kann man sich einfach nicht satt sehen."

Doch warum das alles? Wieso wie ein Besessener jeden noch so entlegenen Winkel des Südwesten aufspüren? Auf diese Frage schweigt Jürgen Gruß, sonst um keine Antwort verlegen, erst einmal. Vielleicht liegt ein Teil der Antwort ja in seiner Biographie. Nach dem Kartographie-Studium kommt er Anfang der 80er Jahre in der Branche nicht unter, landet in der Elektro-Industrie. Dort arbeitet er bis heute im Service-Bereich. Seiner Begeisterung für Landeskunde geht er seither abseits des täglichen Broterwerbs nach. Hier findet er die Freiheit, die er als Rädchen im Getriebe der Industrie nicht hat.

"Die Menschen", sagt er schließlich. "Sie treiben mich an. Ich will Leute fürs Ländle begeistern." Man nimmt ihm diese Überzeugung ab.

Von Original Artikel SWP